Eine Singer Nähmaschinen-Familiengeschichte

von Helene Walterskirchen:

 

Historische Singer-Nähmaschine auf dem Dachboden von Schloss Rudolfshausen, daneben die moderne elektrische Singer-Nähmaschine der Autorin zum Vergleich

 

Die Mutter meines Vaters, sie hieß Anna, geboren 1895, war Schneiderin. Ich habe sie leider nicht kennen gelernt, da sie bereits 1936 an einer Blutvergiftung starb. Sie war eine ziemlich fortschrittliche Frau für ihre Zeit, trug gerne modische Kleidung und dazu die passenden Accessoires. Obwohl sie in Landshut lebte, hielt sie sich viel in München, der bayerischen Landeshauptstadt, auf, wo sie an einem Institut für junge Frauen aus dem Volke Nähunterricht gab. Sie verwendete schon damals eine Singer-Nähmaschine mit einem Pedal und einer Handkurbel (wie oben abgebildet) und vermittelte damit den jungen Frauen die seinerzeit modernen Näh- und Nähmaschinen-Kenntnisse.

Für die jungen Frauen von heute ist es unvorstellbar, dass die jetzige historische Nähmaschine einst hochmodern war. Auch meine Mutter, geboren 1914, hatte ein ähnliches Modell, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Es stand viele Jahre in unserer Wohnung und wurde, als ich Kind war, gelegentlich für einfache Näharbeiten von ihr benutzt. Später dann, in den 1970er Jahren, kaufte sich meine Mutter eine elektrische Singer Nähmaschine und die alte wurde eine dekorative Zierde. Diese elektrische Nähmaschine ging, da meine Mutter nie eine Neigung für das Nähen hatte, nach einigen Jahren an mich über mit dem Kommentar: „Du kannst das besser als ich und wenn ich einmal einen Vorhang kürzen lassen möchte, dann komme ich zu Dir.“ Ich habe die neue elektrische Nähmaschine von Singer in den Jahren darauf immer wieder für einfache Näharbeiten benutzt, jedoch hatte ich nie die Begabung und Begeisterung wie meine Großmutter Anna sie hatte. Heute steht das Nachfolger-Modell, die Singer Heavy Duty 4432, in meinem Haushalt und erfüllt zuverlässig ihren Dienst.

Früher war eine Frau nur dann wirklich eine gute Hausfrau, wenn Sie eine Nähmaschine ihr eigen nennen konnte. Als ich Kind und Jugendliche war, kannte ich keine Frau in unserem Freundes- und Familienkreis, die keine eigene Nähmaschine besaß. Jeder Ehemann wusste, womit er seiner Frau eine große Freude bereiten konnte: Mit einer neuen, moderneren, besseren Nähmaschine. Der Wert einer tüchtigen Hausfrau und Mutter bemaß sich an dem Modell ihrer Nähmaschine und an ihren Näh- bzw. Schneider-Kenntnissen. Die Marke „Singer“ war dabei die bekannteste Nähmaschinenmarke und sozusagen unsere Familienmarke.

Die Singer-Nähmaschine ist untrennbar mit Isaac Merritt Singer, geb. 1811 in New York, USA, verbunden. Auch wenn Singer nicht als Erfinder der ersten Nähmaschine gilt – dies war der Bostoner Mechaniker Elias Howe -, so war Singer dennoch der Erfinder der Singer-Nähmaschine. Dass er dabei ein wenig von Howe abgeschaut hatte, führte dazu, dass er später per Gerichtsbeschluss stattliche Lizenzgebühren an seinen Konkurrenten zahlen musste. Im Gegensatz zu Howe war Singer ein erfolgreicher Geschäftsmann, der bereits 1863 jährlich 20.000 Nähmaschinen produzierte und verkaufte. 1880 kamen neue Standorte in den USA, aber auch in Schottland, Kanada und Österreich dazu. Diese Expansion führte zu einer Erhöhung der Produktion auf 500.000 Nähmaschinen jährlich. Singer Nähmaschinen traten ihren Siegeszug um die ganze Welt an und kamen Anfang 1900 auch nach Wittenberge in Deutschland, wo 1904 ein Zweigwerk der amerikanischen Singer Company entstand.

Wie sich doch die Zeit über rund 100 Jahre geändert hat! Früher war jede Frau, genauer Hausfrau und Mutter, stolz darauf, eine Marken-Nähmaschine wie die von Singer zu besitzen und darauf für die Familie und die lieben Kinder zu nähen. Heute sind Frauen stolz darauf einen eigenen PC oder Laptop zu besitzen, dazu einen Induktionsherd und eine Waschmaschine, die aus der Ferne mit Smartphone bedient werden können. Wenn eine Frau heute erzählt, dass sie eine eigene elektrische Nähmaschine hat und gerne näht, vermittelt ihr das das Image eines biederen „Hausweibchens“. Die Frauen von heute dagegen sind stolz darauf, cool und tough zu sein. So kann man den meisten von ihnen mit einer neuen Nähmaschine keine Freude bereiten, mit einem neuen PC oder Laptop hingegen schon.

Auch ich verwende nicht mehr die Pedal- und Kurbel-Nähmaschine, die meine Großmutter Anna einst verwendet hat und auf der sie sicherlich wunderschöne Kleidungsstücke genäht hat.

Ich habe heute eine elektrische Nähmaschine Marke Singer Heavy Duty 4432, die mit 1.100 Stichen in der Minute superschnell ist. Was mir beim Nähen wichtig ist: man kann sie auch als Laie leicht bedienen, da sie keine komplizierte Elektronik hat, sondern eine verständlicheTechnik, mit der man auch gut als Anfänger zurechtkommt.

Die Singer-Nähmaschinen haben eine lange Geschichte und Tradition. Diejenigen, die einst Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts an ihr genäht haben, weilen nicht mehr unter uns – so wie meine Großmutter Anna. Oft aber leben ihre Nähmaschinen weiter – als Familien-Erbstück oder als Museumsstück. Wenn Nähmaschinen erzählen könnten. …

 

 

 

 

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